With a Pinch of Salt

Albumbesprechung vom Journalisten Marco Zysset

Sein und Schein sind nicht nur im Show-Business schwer zu unterscheiden. Christopher George & The Sapidity Agents kokettieren auf ihrem Album «With A Pinch Of Salt» geschickt mit dieser Ungewissheit. Dafür begehen sie auch sprachlich neue Wege.

 

Trau, schau, wem? Schon die Lateiner wussten, dass zuviel blindes Vertrauen höchstens was für hoffnungslose Romantiker ist. Seit wir einander mit Hilfe von Photoshop und Instagram rund um die Uhr das volle Fake-Leben auf die Augen drücken, wiegt die Frage, «Wem kann ich noch trauen?» noch schwerer – womöglich so schwer wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. So bilden sich in unserer Gesellschaft mehr und mehr zwei Lager: Während manche diese Tools als Chance sehen und ihr Potenzial erkunden wollen, verziehen sich andere in die Schützengräben der Technik-Skeptiker und malen apokalyptische Szenarien – als ob Instagram der sprichwörtliche Highway to Hell wäre.

 

Zwischen diesen beiden Lagern gibt es jene Menschen, die mit viel Lust und Leidenschaft mit diesem Zwiespalt kokettieren; mit der Schwäche der Menschen für schillernd Schönes, welche immer wieder mit dem zutiefst menschlichem Bedürfnis nach schlichter und ungeschminkter Wahrheit, Geborgenheit und Vertrauen kollidiert. Zu dieser Gruppe gehören Christopher George & The Sapidity Agents.

 

Christopher George & The Sapidity Agents scheinen überhaupt auf Balance-Akte zu stehen. Der Albumtitel «With A Pinch Of Salt» spielt mit einer prächtigen sprachlichen Doppelbödigkeit aus dem Englischen. Das Album wartet mit Songs in Mundart und in Englisch auf. Und die visuelle Gestaltung mit den vielen Köchen, die sich an der Suppe zu Schaffen machen, lässt offen, ob da nun kleine Bocueses am Werke sind – oder Aufschneider, die die Suppe sprichwörtlich versalzen.

 

Nach der Debut-Single «Eifach Sii / Up To Tie Me Down», mit der sie in bester Daft-Punk-Tanzmanier die Hüften schwingen liessen, beweisen Christopher George & The Sapidity Agents auf ihrem neuen Longplayer, dass bei ihnen auch musikalische Vielschichtigkeit gross geschrieben wird. Ihre Lyrics servieren sie meist in Englisch, punktuell aber auch in Mundart. «Weil wir ganz einfach feststellen mussten, dass die Inhalte aus englischen Songs bei den Leuten weniger gut hängen bleiben», sagt Frontmann und Songwriter Christopher George. Merke: Diese Band hat was zu sagen!

 

Nur: Wer die Inhalte auf «With A Pinch Of Salt» ergründen will, muss bereit sein, sich auf einen wunderbar bunten und vielschichtigen Trip einzulassen – und immer wieder neu zu fragen: «Kann ich dem wirklich trauen?». Schon der Albumtitel steht im Englischen für zwei Dinge. Neben der sprichwörtlichen Prise Salz, die jeder Suppe guttut, kann die Phrase mit «Das ist mit Vorsicht zu geniessen» als stehende Wendung übersetzt werden. Womit der Bogen zur Debut-Single geschlagen wäre – jenem Track, der liebevoll kritisch den Drang hinterfragt, ständig etwas darstellen und performen zu müssen. Ja, Christopher George & The Sapidity Agents trauen sich auch an heikle Themen wie Fake News, wenn sie in «What’s Changing» fragen: «What’s wrong, what’s fine? / Who is faking? / Is honesty worthwhile?» Und so wissen die Hörerinnen und Hörer am Ende wohl immer noch nicht so genau, ob man den Köchen tatsächlich trauen kann, die im Album-Booklet so wunderbar inszeniert sind. Denn seien wir ehrlich: Welcher Spitzenkoch braucht schon Maggi? Und welcher lässt die Frau im Hintergrund warten?

 

Christopher George & The Sapidity Agents wissen: Im Jahr 2019 braucht’s eine Story, Musik alleine reicht nicht mehr. Selbst auf die Gefahr hin, dass diese Fassade – quasi die Plakatwand für das Bewerben des musikalischen Werks – Letzteres derart in den Hintergrund drängt, dass die eigentliche Essenz des Wesens vergessen zu gehen droht: Die Kraft der Musik. Dabei ist just sie es, die das Publikum immer wieder aus seinen Gedanken über Sein und Schein herauszureissen vermag. Es sind wunderbar vielfältige Songs, die den musikalischen Rahmen abstecken. Da ist zunächst der schlichte «Tanz Mit De Götter», der sich mit zunehmender Fortdauer immer mehr in den Vordergrund drängt. Oder das funkige «The Cook Is Back». Sie bilden einen Rahmen, der Raum bietet für viel Spielerei wie etwa die prächtig eingängige Songwriter-Nummer «Ufruume» oder das opulente «White Paper». Derweil lässt «Your Craziness» mit süffigen Bläsersätzen die Grenzen zwischen verrückt und glücklich sein verschmelzen. Wenn es sein muss, können Christopher George und seine Geschmacksverstärker – so die Übersetzung von Sapidity Agents und die Rolle, die der Frontmann seinen Mitmusikern zuschreibt – auch etwas schwerer aufliegende Kost auftragen, wie sie im «Garden Full Of Roses» oder in «Reflections» andeuten – ohne aber Zuversicht und Optimismus zu verlieren. Denn sie wissen, dass es manchmal «One Step Back» braucht, um den Kompass neu auszurichten und leichtfüssig und gut gelaunt wieder vorwärts zu gehen. Oder um es in den Worten von «Overdose (Learn To Swim)» auszudrücken, der wohl poppigsten Nummer auf dem Album: «I keep my head above water / Oh no, I won’t go down, down, down / in this fished-out ocean of bullshit / Oh, Thanks for letting me learn to swim!»

 

Trau, schau, wem? Was schon den Lateinern recht war, soll uns nur billig sein – und für Christopher George und seine Mannen ein musikalischer Spielplatz, auf dem sich vortrefflich und herzhaft mit Worten, Klängen, Gedanken und Gefühlen spielen und pröbeln lässt.

 

Marco Zysset, Februar 2020